Seit einigen Jahren verbringen wir die Adventszeit mit wachsender Begeisterung in Andalusien. Wir genießen nicht nur das Wetter und das strahlende Licht sondern auch die Fröhlichkeit, mit der dort Weihnachten gefeiert wird. Und natürlich fasziniert uns auch die kulinarische Seite des andalusischen „Navidad“ immer wieder aufs Neue. Was uns bei unserer letzten Andalusien-Reise besonders aufgefallen ist: die Liebe der Andalusier zum Schinken, speziell in der Weihnachtszeit.
Spanien ist ein Land von Fleischessern, vorzugsweise vom Schwein. Nirgendwo sonst in Europa werden ähnliche Mengen verputzt wie hier – rund 50 Kg Schweinefleisch pro Kopf im Jahr. Und Spanien ist auch die No. 1 bei den europäischen Schweinefleischproduzenten. Über 5 Mio Tonnen verlassen Jahr für Jahr die Schlachthöfe – Tendenz steigend. Der größte Teil davon kommt aus quasi-industrieller Massenproduktion (wovon dann sehr viel exportiert wird), doch gleichzeitig wird in Spanien der vielleicht beste Schinken der Welt produziert. Und der findet seine Abnehmer vorzugsweise im eigenen Land.
Der Schinken ist in Spanien mehr als ein Nahrungsmittel. Er steht im Mittelpunkt einer altehrwürdigen Kultur, die Berufe wie den „maestro jamonero“ und den „Cortador de jamón“ hervorgebracht hat. Und in der es mehr Qualitätsabstufungen für Schinken und Schinkenabschnitte gibt als irgendwo sonst. Und entsprechend auch enorme Preisunterschiede: einen ganzen Schinken kann man im Supermarkt für 50 Euro bekommen – oder auch über 500 Euro ausgeben.
Die Qualitätskategorien beim spanischen Schinken sind eine Wissenschaft für sich. Die billigsten kommen natürlich aus der Massentierhaltung und sind in jeder Hinsicht (Ökologie, Tierwohl, Gesundheit …) extrem fragwürdig.
Interessant wird es am anderen Ende der Skala: die besten (und teuersten) Schinken stammen von 100-prozentig reinrassigen Iberico-Schweinen („pata negra“) aus Freilandhaltung, die ohne Mastfutter großgezogen wurden und sich vorzugsweise von Eicheln („bellotas“) ernährt haben. Die Schinken wurden dann 2 bis 3 Jahre lang luftgetrocknet, bevor sie in den Handel kommen. Der Fachmann dafür ist der „maestro jamonero“.
Niemand würde in Spanien auf die Idee kommen, solch einen Schinken mit der Maschine zu schneiden. Das filigrane Zerschneiden in kleine hauchdünne Scheiben ist Sache der „Cortadores de jamón“, die dieses Handwerk in einer langen Ausbildung erlernen. Seit einigen Jahren werden auch Schneidekurse für „Amateure“ angeboten, bei denen Familienväter lernen können, wie sie den Feiertagsschinken im Kreise ihrer Lieben fachgerecht aufschneiden können. Was nicht ohne Risiko ist: Nach einer Studie der Ärztekammer in Málaga werden pro Jahr um die 57 000 Unfälle im Zusammenhang mit Schinkenschneiden ärztlich behandelt.
Doch wer es sich leisten kann engagiert bei großen Familienfeiern ohnehin lieber einen Profi. Die Stars unter den Contadores bekommen schon mal pro Abend über 3000 Euro für ihre Arbeit.
In jeder Bar, die etwas auf sich hält, hängen Schinken zu Dutzenden unter der Decke. Damit den Gästen kein Fett auf den Kopf tropft hängt unter jedem Schinken ein kleines Auffanggefäß. Dass der Schinken für die Tapas immer frisch von Hand aufgeschnitten wird versteht sich von selbst.
Einige Tage vor Weihnachten 2022 konnten wir in Jerez de la Frontera die „Jornada de cortadores de jamón“ miterleben, den „Tag des Schinkenschnittmeisters“. Auf einem Platz am Rand der Altstadt zerlegten einige Dutzend „Cortadores“ edle Schinken in kleine Portionen, die von dem zahlreichen Publikum freudig verzehrt wurden. Der Erlös aus dem Verkauf dieser Teller kam dann der 3-Königs-Gesellschaft von Jerez zugute.
War wunderbar anzuschauen und hat großartig geschmeckt!
Hier noch einige Links für alle, die tiefer in das faszinierende Thema einsteigen wollen:
https://www.jamonarium.com/
Umfassende Erklärung der Qualitätsstufen. Offenbar maschinell übersetzt, aber dennoch gut verständlich.
https://www.vice.com/de/article/pgxkg8/der-vielleicht-beste-job-der-welt-cortador-de-jamones-408
Interview mit dem Star-Contador Florencio Sanchidrián
Die Kunst des Schneidens – Homepage der ASICI (Asociación Interprofesional del Cerdo Ibérico)
Video von Otto-Gourmet zum perfekten Jamón-Schnitt